Wie kann ich als Coach mit mir selbst arbeiten, während ich mit meinem Coachee arbeite?

von Rainer Molzahn


Wie kann ich als Coach mit mir selbst arbeiten

Spoiler-Alert: spart Zeit, Energie und Supervisionshonorare – und macht Spaß!

 

Frage: warum sollte man überhaupt mit sich selbst arbeiten, wenn doch die eigene Rolle und Expertise darin besteht, mit anderen zu arbeiten?

Antwort: genau darum. 

 

Hier soll es darum gehen, wie wir als Coaches mit uns selbst ‚arbeiten‘ können, während wir tun, was wir tun, also in Echtzeit.


Man kann sich nicht in jemand anderes einfühlen, wenn man sich nicht in sich selbst einfühlen kann. Man kann nicht jemand anderes konfrontieren, wenn man sich selbst nicht konfrontieren kann. Man kann nicht jemand anderes darin unterstützen, Selbst-Bewusstheit zu entwickeln, wenn man selbst keine hat.

 

Wie kann ich also als Coach mit mir selbst arbeiten? In erster Linie natürlich während unserer Arbeit, aber auch in anderen Situationen. Theoretisch schlicht und einfach, praktisch durchaus anspruchsvoll – „easy to understand, hard to master“. Das praktisch Anspruchsvolle hat damit zu tun, dass wir dabei zugleich in mehreren Kanälen, oder wie wir transformativen Coaching sagen, in mehreren Aufmerksamkeiten zugleich alert sein müssen. Das Schöne und das Attraktive daran ist: je häufiger und je zuverlässiger uns das gelingt, desto wahrscheinlicher bewirken wir das, was wir bewirken wollen, desto mehr Spaß haben wir bei der Arbeit.

 

Hier also einige Hinweise dazu, wie ich als Person, in meiner Coach-Rolle und in der Interaktion zwischen beiden in Echtzeit präsent sein kann. 

Person

 

  • Den Fluss der eigenen Aufmerksamkeit verfolgen – was genau zieht meine Aufmerksamkeit an? Was zieht sie weg, wenn sie weggeht? Wohin? Was lässt mich abtauchen?
  • Die eigenen Benennungen bezeugen – welche Worte, insbesondere welche ‚Ding-Wörter‘ fallen mir zu, um die Datenflut meiner Wahrnehmungen zu reduzieren?
  • Die eigenen Gefühle im Gesprächsverlauf daraufhin ‚monitoren‘, was an ihnen mit der anderen Person, was mit unserer Beziehung und was mit mir zu tun hat. Darauf achten, wann ich bewerte und urteile, darauf achten, wenn es anstrengend wird.
  • Insbesondere den peripheren inneren Dialog mit dem inneren Kritiker beobachten: wann bin ich zufrieden oder gar glücklich mit mir, wann unsicher und zweifelnd, wann unzufrieden und selbstkritisch?
  • Wahrnehmen, aus welchen Impulsen die Absichten für meine nächste Intervention entstehen. Besonders achtsam sein dafür, ob dieser Impuls erwächst aus dem Bedürfnis, mich zu beweisen, aus der Panik, dass mir nichts einfällt oder aus einer Reaktion auf meinen inneren Kritiker usw.

 

All diese Variationen der flexiven Selbstwahrnehmung laufen darauf hinaus, die Bewusstheit über eigene Grenzen zu befördern. Wir machen besonders in Supervisionen immer wieder die Erfahrung, dass der Coaching-Prozess so sehr von den Grenzen des Coaches bestimmt wird wie von denen des Coachees. Wenn wir also wirklich in unserer Rolle den Langzeit-Prozess unseres Coachees ein bisschen beschleunigen wollen, dann ist es eine gute Idee, unsere Bewusstheit darüber zu pflegen, wo, wann und wie genau wir dazu beitragen, ihn als Person zu verzögern. Damit er oder sie an den eigenen Grenzen arbeiten kann, und nicht an unseren. 

Rolle

Wie kann ich in Echtzeit mit meiner peripheren Aufmerksamkeit den systemischen Kontext, in dem meine Arbeit stattfindet, präsent halten?

 

  • Während meiner Arbeit mit meinem Coachee: wann ist mir unser Rollenkontext sehr bewusst, wann und wie ist er als Thema da, und wie vorder- oder hintergründig? Wann ist er wie weg?

  • Wie und wann beeinflusst meine systemische Rolle, ihr Auftrag, ihre Stakeholder und deren Interessen meine Interventionen als Coach?

  • Was sind meine eigenen Rolleninteressen in der Arbeit mit meinem Coachee, und wann sind sie mir in der situativen Arbeit besonders bewusst? Wann gar nicht?

  • Wann und wie adressiere ich meine Interventionen an den bzw. die Coachee von Rolle zu Rolle? Wie fühlt es sich für mich an, wenn ich es tue, und was genau inspiriert mich, das zu tun?

  • Wann werde ich zum Sprachrohr der systemischen Stakeholder, nach dem Motto: „Wenn ich Ihre Vorgesetze wäre …“, „wenn ich mir vorstelle, ich bin Ihr Kunde …“ und so fort? Was inspiririert mich dazu?

 

 

Diese Perspektive unserer Selbstwahrnehmung hilft, sich der Bewegung des kulturellen Feldes auf der Beziehungsebene bewusst zu werden: die See, die Coach und Coachee navigieren müssen. Wenn wir uns in dieser Echtzeit-Arbeit üben wollen, hilft es, davon auszugehen, dass alle unsere Intuitionen und Fantasien realitätsbezogene Informationen für unser Rollen-Navi beinhalten. Wieviel genau, und welche, können wir mit unserer nächsten Intervention erkunden.

Rolle(n) und Person

Ganz besonders raffiniert ist es, während wir mit den besten Absichten beschäftigt sind, unserem Coachee weiterzuhelfen, die periphere Interaktion zwischen uns und unserer Rolle (oder unseren Rollen) zu beobachten, während wir unserer Arbeit nachgehen:

 

  • Welche Rollen- und persönlichen Beziehungen habe ich noch in dem System, von dem ich und mein Coachee Teile sind, außer der zu meinem Coachee? Welcher Art sind diese Beziehungen, und welche Loyalitäten und Komplizenschaften ergeben sich aus ihnen? Das gilt natürlich auch, wenn ich externer Coach bin.
  • Habe ich Doppelrollen inne, die mich eventuell oder tatsächlich kompromittieren oder gar korrumpieren, und sei es auch nur ein kleines bisschen? Besonders, wenn ich als interner Coach tätig bin, der oder die auch noch Führungskraft und Personalentwicklerin ist, sind das keine unrealistischen Verhältnisse.
  • Wo genau ergeben sich aus diesen unterschiedlichen Beziehungen, und insbesondere aus den Interessen und Bedürfnissen, die sie für mich beinhalten, potenziell oder akut innere Konflikte, die mich in meiner Authentizität und meiner Handlungsfähigkeit gegenüber meinem Coachee beeinflussen?
  • Wie jongliere ich diese systemischen und persönlichen Verstrickungen, welche Gefühle bekomme ich dabei, was sagen sie mir – und wie hilft mir das alles dabei, mir meiner Werte und Prinzipien noch bewusster zu werden?
  • Mit welcher Bewusstheit treffe ich Interessen-basierte Entscheidungen hinsichtlich der Frage, wer im engeren Sinn mein Kunde ist und welchen Unterschied ich für wen machen möchte? Wem diene ich, und warum?

 

Diese und weitere Varianten der Bewusstheitsarbeit mit sich selbst bedeutet Spaß bei der Arbeit für Fortgeschrittene. Ich möchte dabei keineswegs unterstellen, dass unsere moralische Weste immer blütenrein sauber bleiben wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt aber sicher als Nebeneffekt unserer Arbeit mit uns selbst in Echtzeit. Und sie erspart uns Zeit, Geld und Supervisionshonorare 😍.

 

 

 

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Rainer Molzahn

 

Leiter der Coaching-Ausbildung, Leadership-Coach und Autor

 

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